Seine Heimat, sein Raum
der Lebensluft, seine sakrale Höhle, ölige Gerüche und weite
Farben-Spektren, ein buntes Treiben, Zerreiben der Farbpartikel auf
unbeeindruckten Leinwänden, Konturen verschwimmen hier und da,
Konturen scheinen scharf und ausdrucksstark, sie schneiden in Papier
wie Messer, und er war gerne der Messerwerfer - nur stumpfen auch
scharfe Messer ab.
Große Fenster in
seinem Atelier, zwei an der Zahl, ermöglichten ihm einen weiten
Blick über Straßenvenen und pulsierenden Plätzen, herum irrenden
Personen, die Blutkörperchen, die ihm (er war gut sichtbar durch die
weiten Glaswände) und seinen Werken einen kurzen Blick zuwarfen,
sich aber nur allzu schnell wieder abwendeten, ihren Gang
beschleunigten, ihre gefüllten Einkaufstaschen mit allerlei kantigem
und farbigem teilweise nur mit Anstrengung trugen. Keiner von diesen
Menschen könnte in seinem Alltagsstress auch nur ein paar
zusätzliche Sekunden zum Bestaunen der Handführungen auf den
Bildern, der detaillierten Züge, kraftvollen Farben entbehren.
Manchmal schwirrten sie zu ihm, ohne Frage, und wenn sie es taten,
dann spürte er es im kompletten Körper, und plötzlich schien sich
sein Kopf in solchem Momenten in alle Richtungen ausbreiten zu
wollen, als sei er endlich an die Luft gekommen, raus aus diesem
kleinem, stickigem Atelier.
Für das Betrachten des
Großteil der Bilder fand aber auch er keine Zeit - und doch sah er
sie täglich. All diese wunderbaren Gesichter, die er in ihren
Momenten einfing, wie er ihre Gesichtspartien bis auf kleine,
scheinbar unwichtige Details ausführte, wie er sie beschrieb in
fließenden Farben-Worten. Manche sprachen begeistert zu ihm, er
bringe mehr Leben auf Leinwände als der lebendige Schauspieler auf
die Bühne, und er glaubte keinem von ihnen auch nur ein Wort, spie
geistig gegen sie aus, wollte nach ihnen treten und seine Kunst nicht
selten nach ihnen werfen.
Und doch zeigte er so
oft auf seinen langen Reisen als Maler seinen Dank für jenes Lob,
verneigte sich vor dem Publikum scheinbar tief und ehrlich, genoss
Brandungen an Applaus, die seinen steinernen Körper äußerlich nach
und nach zu zersetzen und innerlich auszuhöhlen drohten.
Zu begeistern waren
diese Menschen oft auch durch gleißende Farben, durch bunte Szenen
ländlicher Gegenden, wie oft bewegte er sich außerhalb seines
Ateliers, wie oft strömten Menschen und manchmal der Regen, um jeden
seiner Pinselzüge zu verfolgen, um seine Präzision und Illusion zu
bestaunen. Er war Magier auf untypischen Bühnen, und führte ihnen
Tricks vor, dessen Erfindung nicht selten nicht seinen Fingerspitzen
entstammt und dessen Ausführung ein jeder mit genügend Zeit,
genügend Wille zur Unterwerfung unter die Kunst erlernen könnte.
Aber jedem das Brot nach seiner Tat, und Taten gäbe es genug, und
wer solle sie alle unter einen Hut bringen, so hatte er oft gehört.
Und so bannte er sie
mit Farben auf Leinwänden, spannte ihre Umfänge ins kleinere,
fassbare - und die Menschen entrissen es ihm, seine Hände konnten
oft nicht lange halten, was er denn da geschaffen hatte.
***
Er musste Ordnung
schaffen in seinem Atelier, schwere Holzgestelle packen und die Werke
in Reihe stellen, fein geordnet, ein breiter Gang zwischen Porträt
und Landschaft. Fast wollten die einen auf die anderen blicken, und
fast konnten die anderen nicht ohne dem einen existieren, als sei die
Schönheit der Landschaften an den Augen dieser starrenden Porträts
gebunden.
So schaffte er langsam
und behäbig in seinem doch recht hohem Alter einen Gang zwischen den
Reihen der Bilder, packte jedoch einige zur Seite, nein, zerrte sie
mit einem Krallen in sie hinter seidenen Vorhängen, die nur wenig
erahnen ließen, vielleicht blasse Umrandungen der Stative, auf denen
sich seine Werke befanden. Wie gerne hätte er sich während der
Ausstellung neben sie hinter dem schützendem Vorhang, dem leicht zum
Sturz führbahrem, aber schwer im Dickicht der Farben entdeckbarem
Wall, versteckt.
Aber doch wurde er das
Porträt der Ausstellung, welchem unbestreitbar am meisten
Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Und sein Zeichner verstand es, starre
Inszenierungen wie im Fluss erscheinen zu lassen. Er war doch ein
großer Künstler.
Kurzzeitig erfreute er
sich fast schon am Anblick, wie die Mengen durch die Gänge flossen,
wie sie all seine ausgestellten Werke (und vor allem ihn) umspülten,
diese Fremdkörper, ihm die Hand zur euphorischen Gratulation
reichten. Doch verriet der genaue Blick Details, die ihn von seinem
Schauspiel abbrachten. Wie sie Porträts und Landschaften mit starren
Augenhöhlen betrachteten, wie sie etwas suchten, was sie nicht
finden konnten in fremden Gesichtern und Hügeln, Nasen und Seen,
Ohren und mühsame Darstellungen der stürmischen Bretagne.
Und wie sie allesamt
missachteten, in welchem Zustand sein Atelier sich befand, längst
der Verrohung und Zersetzung ausgesetzt, ein sterbender Körper,
letzte Atemzüge, ein leichtes Aufblasen der Lungen, ein gequält
langes Ausatmen.
Und wie sie stattdessen
auf die Gemälde stürmten, diesen euphorischen, Farben in die
Umgebung pumpenden Zentren im Raum. Wie sie sie fühlen wollten mit
Händen und Augen, und wie sie sie im infolge dessen abkauften und
hinaus trugen, nicht ohne einen Stolz, einem zufriedenem Lächeln,
das die Lippen umspielt, eine Maske, dem Schauspiel nur zu
angemessen.
Wie sie sie aufhängten
an einem kurzen Galgen in ihren Räumen, fast schon mit einem
Erstaunen auf die Unterschrift des Künstlers blickten. Und mit
Verärgern nach einigen Wochen feststellten, dass die Farben langsam
verblassten.
Aber dachte er im
Moment an das Stimmengewirr um ihn, an die versammelte Presse, im
Begriff, Fotos der Bilder zu schießen, sie in schwarz-weißen
Impressionen abzudrucken und zugänglich zu machen. Und schon bald
vergaß er den Vorhang im Zuge eines herrlichen, schnellen Rausch.
***
Nach Ende einer jeden
Ausstellung rostete sein Inneres, sein wertvolles Metall kam nach
Abgang all dieser erfreuten, regelrecht berauschten Personen in
Kontakt mit der Außenwelt. Sanfte Schichten türmten sich auf seinem
Geist.
Er begann, schwere
Stative anzuheben und in ihre alte Unordnung zu ordnen. Gänge
aufzulösen, sie noch vor kurzem zu ihm führten, und Wege zu
versperren mit seinen Werken, ließ Porträts nicht mehr Landschaften
anstarren, sondern seine kahlen, weißen Wände - die
Landschaftsgemälde jedoch stellte er vor die großen, im Moment mit
Licht durchfluteten Fenster.
Und langsam bewegte er
sich auch auf die seidenen Vorhänge, fuhr sanft und mit Bedacht über
sie, bis er sie entschlossen, ja fast schon mit Gewalt zur Seite
schob (sie waren beleibe nicht leicht mit ihren schweren Stoffmassen,
die ohne jede künstlerische Inspiration, die man doch sonst erwartet
hätte, von der Decke hingen) und mit einer Mischung aus einem
schnellem Zurückweichen und einem Lächeln die sich dahinter gähnend
und gelangweilt auf Stativen befindlichen Werke sah. Er starrte kurz
auf sie, meinte fast, sich in einigen reflektierenden Farben kurz
erkannt zu haben, und trug sie in den großen Hauptraum seines
Ateliers. Schub seine anderen Werke, seine Porträts und
Landschaften, weiter in die Seiten, nein, er öffnete gar kurz eines
der Fenster und begann, einige der alten Werke, die nötigen Platz
beraubten, mit sich in einem Moment entladener Wut auf die Straßen
zu schmettern (er wartete nicht auf Reaktion der Menschen dort
unten). Nun war jeder Zug von einem Bildergang vollkommen zerstört,
und er eilte, ohne auch nur daran zu denken, dass Fenster wieder zu
schließen, zu seinen anderen Werken zurück, jenen Bildnissen, die
weder einem Porträt noch einer Landschaft gleichen mochten.
Er stellte sie
säuberlich in Reihen, schnell und ohne große Überlegungen, all der
Bedacht, den er bei vorigen Bildern anwendete, verrauchte in
schnellen Bewegungen seiner Handlungen. Als er wieder Gänge geformt
hatte, als er all diese Bilder in Reihen und in scheinbar
unvertretbaren Anordnungen sah, so wunderte er sich, warum er den
Anblick der Menschen vermisste. Und so trat er selbst durch die
Reihen und versuchte, seine Bilder zu betrachten, zu erfahren, und
scheiterte an diesem Kunststück.
***
Er setzte sich müde
und entzerrt auf seinen beliebig platzierten Klappstuhl, und
betrachtete das Treiben aus einer kleinen Entfernung. Seine
Erschöpfung der letzten Nacht, in welcher er die Gänge ausbaute und
weitere Bilder malte, mehr und mehr Porträts und Landschaften aus
dem Atelier verband und durch seine anderen Werke ersetzte, drängten
ihn fast in einen gleichgültigen Schlaf, und doch hielt ihn ein
kleines, konstantes Erlebnis der Spannung wach, kleine
Adrenalinstöße, ein fast nur bei genauer Konzentration spürbares
Pulsieren in ihm, in seinem Herzen.
Und fast hatte es ihn
gewundert, wie viele sich einfanden, wie viele nun durch die Gänge
strömten, wie viele nun auf seine Bilder blickten. Und auch wenn er
es nicht anders erwartet hatte, so verwunderte und schmerzte es ihn
doch, dass nach einigen Stunden bereits der Großteil die Ausstellung
verließ, ohne ihn auch nur anzusehen, geschweige denn zu gedenken,
mit ihm über seine kantigen, farbigen, neuen Kreationen zu reden.
Aber umso mehr begeisterte ihn der Anblick derer, die auch nach
Stunden nicht genug von seinen abstrakten Darstellungen, die es so
noch nicht zu sehen gab, ohne klare Linienführung, ohne klares
Objekt, mit viel freiem, weißem Raum auf den Leinwänden, nicht aus
dem Atelier wichen, es war vielleicht eine Anzahl von sieben bis zehn
Personen. Und wie sie letztendlich, fast wie durch die Gänge
gelenkt, zu ihm strömten und ihm um Preise für die Werke baten.
Sämtliche Werke verkaufte er, am nächsten Tag wolle man sie
abholen.
Noch am selbem Abend
durchstach er diese Werke mit seinen Pinseln, trat sie, löste die
Gänge auf, setzte kurz an, legte neue Leinwände auf die Stative, um
neue Werke zu schaffen, zeichnete wirrer und unkontrollierter als
zuvor, kolorierte in Wut, in Rot - und beinahe hatte er sie
fertiggestellt, beinahe neue Gänge entworfen, neue Anordnungen
geschaffen, da begriff er, was er tat, und zerbrach all seine Pinsel
in unregelmäßigen Formen, zertrümmerte all seine Stative und
Leinwände, schabte sie zusammen in die Mitte des Raumes, riss den
Vorhang herab und spannte ihn mit Gewalt über den chaotischen
Haufen, übergoss ihn mit all seinen Farben (nicht wenige Ölfarben
waren darunter) und zündete an.