Poetik für den Vorwand.

Sonntag, 31. Mai 2015

Wasser-Moleküle [Mensch]


Molekül-Aufbau
der Menschen:
Kälte lässt
zusammenwachsen
Eisscholle
treibend im Wasser

Wärme treibt
auseinander
manche stoßen
aneinander
doch nutzen sie
sich gegenseitig als
Sprungbrett

Und vielleicht doch
Ionengitter,
eines springt heraus
Bricht die fragile
Ordnung
stoßen sich selbst
gleiche Ladungen ab


Autobahn


Adern
schlagen im
Regentakt
Meere keine
Destination
sondern Zustand
des Moments

Peitschen
im Begriff
zu erreichen
das letzte Schiff
rettend im
Meer potenzieller
Leichen

Und doch:
Entlang hangeln
gewandt und elegant
an all dem Asphalt
wir erreichen Ekstase
recht bald

Freitag, 29. Mai 2015

Bleiche Seiten


Seiten erbleichen
werde ich sie reichen
dem, der sie annimmt
mit äußerst bleichen
Gesichtszügen
wie tüchtig macht er
sich ans Umpflügen!

Denn Arbeit treibt
ihm die Röte ins Gesicht
wenn er sich zerreibt
am Scheinwerferlicht
Das Feld in neuer Form
hier und da her mit der Norm

Und am Ende wird er
doch merken müssen:
Die Seiten waren leer

Donnerstag, 28. Mai 2015

Hunde


Paradigmen
in dunklen Kellern
Algorhythmen
in kleinen Zellen
Meinungen bellen
im Vorhof

Hunde ruhig gestellt
sich die Ruhe zugesellt
sie hat sich abgesprochen
mit Geschrei

Innen Tanz
aufgesetzt der Kranz
König der Zelle
Herrschaft im Fall der Fälle
der lebenslangen Strafe

Mittwoch, 27. Mai 2015

Farbspektren


Farbspektren
Elektronen im Fluss
ein gewaltiger Überschuss
an Licht

Worte-Prisma
was es doch bricht
wie es uns besticht
mit eingefärbtem Licht

Instrumentarium verloren
am Experiment
Dinge zu erklären
als wären sie echt
im Zahlengeflecht

Was uns bleibt
ist die Pappschachtel
auf unserem Kopf
mit hübschen Bildern
innen angeklebt



Dienstag, 26. Mai 2015

Holzspäne (Zersetzung)


Ich sehe
Partikel-Regen, Späne,
abgehobelt von Holz-Stelzen
auf denen ich stehe

Die Säge reicht zu mein'
hölzernem Leib
starr im Laufen
herausquellend der Leim

[nicht getrocknet im Regen]

Ich falle in Betten
dieser breiten Holzspäne
weich und in mich stechend
sie werden mich wieder retten

Montag, 25. Mai 2015

Schutzplanke [Zersetzung II] (Prosa)


Ununterbrochen verbrachte sie ihre Abende vor jener Schutzplanke, nahe an Staublinien, die als Straßen dienten, oft umher wirbelnd und Dinge einnehmend, Sandpartikel als schleifende Diamanten.
Ihr Weg führte zwanghaft durch den naheliegenden Wald, dessen Arme in ihrer Betrachtung der Schutzplanke scheinbar ächzend versuchten, zu ihr zu reichen. Und hier und da mochte ein Ausläufer des Waldes auch ihren Körper berühren, sanft greifen. Und doch nahm sie an, die Schutzplanke sei ihr Objekt der Betrachtung. Doch beleuchteten ihre Gedanken dieses doch scheinbar so deplatzierte Gebilde, hinter dem sich ein gähnender Fluss, recht gerade und linear in seiner Form, aber scharfe Konturen bedeckt an jeder Ecke und an jedem Ende von allerlei Gewächs, einer breiten, grünlichen Decke, ausbreitete. Doch strich sie immer wieder während ihres starren Sitzen vor dem Objekt mit ihrer Hand über die raue, spröde, mal schreiende, mal friedlich den letzten Schlaf beginnende Oberfläche, und bemerkte nicht, wie diese manchmal ihre Haut ebenfalls zart aufraute und in der Nacht, wenn sie stärker und ohne eigentlichen Willen zu dieser Tat gegen die Texturen der Schutzplanke mit ihrer Hand drückte, teilweise gar zum Bluten brachte.
Die Schutzplanke war sich ihrer Funktion anscheinend immer noch bewusst: Sie traute sich nie über die Planke, nie weiter in die sich dahinter befindliche Natur, auch wenn sie hin und wieder mit dem Gedanken spielte, in dem Fluss zu baden, die Hitze des ihre Bewegungen erlähmenden Sommers hätte sie so vielleicht ein wenig entgegenwirken können. Doch wie könnte sie nur im Ansatz diese Schutzplanke überwinden? Und doch: Wie konnte sie den Anblick dieses endlich seiner Klarheit entledigten, ja zerflossenem, endlich durch grüne Farbkreise (sie dachte, auch Muster erkennen zu können) bedeckten Wassers ertragen, ohne in diesem zu sein, ohne Teil von diesem zu werden?
Und so sah sie jeden Abend die Schutzplanke an in all ihrer verzerrten Klarheit. So saß sie, natürlich nur abends, wenn die Sonne langsam im Begriff war, ihr Strahlen aufzugeben, wenn ein Dickicht an Luft einer scheinbar klaren Note wich, wenn sie dachte, langsam verschwinden zu können in der allgemeinen Schwärze, die sie bald umgab. Und sie wunderte sich nicht, dass zu keinem Zeitpunkt ein Auto an ihr vorbei fuhr.
Und trotzdem: Auch wenn es hier keine Menschen gab, die sich zu der metallischen Schutzplanke bewegen mochten würden oder gar konnten, auch wenn es hier vielleicht sogar niemanden gab, der von dieser wusste - so sah sie die Planke jeden Abend in einem verschlimmertem Zustand, jeden Abend ein Stück weiter aufgeraut (sie fühlte sanft über jeden Teil des wohltuend kaltem Metalls), jeden Abend ein wenig mehr Rost, jeden Abend mehr Miniaturkrater, tief im Material, tief in den tragenden Eisensäulen der Planke, die seinerzeit mit Härte in den Boden gerammt worden sein mögen, nun aber bereits bei leichter Krafteinwirkung die Stärke in ihrem Stand verloren, ja zu einem Schwanken ansetzten, das sie als Gefahr empfand. Angst mischte sich bald bei jedem abendlichem Besuch der Schutzplanke mit in die eigentlich herrschende Vorfreude, zu sehen, was sie als reine Herrlichkeit begriff.
Und wie sie bei jedem erneutem Anblick von neuen Zeichen von Auflösung in einen leichten Schock viel, wie sie das doch eigentlich schon zuvor offensichtliche immer wieder neu auf einen ihren gesamten Körper durchfahrenden Stand hob. Und wie der Druck ihrer Hände auf die Oberfläche immer intensiver wurde, wie sie nach und nach in ein Pressen überging, eines, das jeden Zwischenraum der Luft zu ersticken schien. Und doch fielen an so manchem Abend in dieser schweren Zeit ihre Tränen auf die Schutzplanke, zersplitterten bei Kontakt mit der Kälte und Schärfe des Metalls in tausende Stücke, die umher flogen und sich auch in sie zu bohren schienen.
Ihre Besuche wurden länger, begangen früher und dauerten bis zu späteren Zeitpunkten als zuvor an. Schon bald verbrachte sie komplette Tage an der Schutzplanke, konnte das Glänzen dieser im Schein der Sonne am frühem Morgen betrachten, wenn sich ein seichter Film über Gräser, Unkraut und Sprieße in der Nähe der Planke gebildet hatte, der langsam über den Tag dahin zu schmelzen schien und die kleinen, immer wieder aufbegehrenden Pflanzen in voller Pracht so preisgab, die sich innerhalb von Tagen langsam, doch für ihr Auge unübersehbar um die Säulen der Schutzplanke schlängelten.
Anfangs war sie gedrängt zu dem Versuch, jegliches Kraut von der Planke zu entfernen, ja sie entriss es regelrecht bis zur Wurzel, versuchte, es auszutreiben - schließlich gehörten sie nicht zur Schutzplanke, nicht zu diesem so wunderbarem Objekt. Und doch schwand ihr Interesse an der Reinhaltung der Planke von Tag zu Tag, immer mehr überwucherten die grünen, starren Schlangen die Planke, während sie in ihrer Verzweiflung schwer atmend vor diesem Schauspiel saß und versuchte, zu begreifen, was geschah.
Sie bemerkte kaum, wie ihre Bemühungen für die Planke ihren Körperzustand nach und nach verschlechterte; all ihre Kleidung war in größeren und kleineren Teilen zerrissen, teilweise schon gar entzweit, kleine Stofffetzen besetzen den Staubboden. Ihr Gesicht wie ihre Hände bedeckt von Sand und Gräsern, Schmutz jeder Art, ein Husten setzte bald ein.
Ihr Essensentzug, den sie kaum registrierte in einem steten Fokus auf die Planke, auf die langsame Einnahme des Metalls von den Gräsern, zwang sie in eine Passivität, in ein leichtes Atmen und Starren. Ihre Wehr gegen all diese Dinge, die die Planke zu bedrohen schienen, verblasste, rauschende Farbpigmente, gegriffen und gepackt von der Sonne und in ihr ihre neue Heimat findend, ihr lebensförderndes Strahlen noch stärker erscheinen lassend.
Sie versank und versank immer mehr in ihre letzten Atemzüge. Sie wusste durchgehend, dass sie die Schutzplanke hätte umstürzen können in ihrer Schwäche und endlich Wasser hätte spüren können.

Sonntag, 24. Mai 2015

Vogelgesang


Vögel besingen
Teer-Straßen
grinsende Gebilde
fraßen
das, was wir fallen ließen

Viele tragen bunte Kleider
im Hitzestich
und so manch einer verlor sich
als man dem Anblick auswich

Und wie sie wild
um sich schlugen
mit Kleidern,
die sie trugen
Alle Vögel
verschwinden

So entziehen wir uns selbst
das Wasser im Sommer
Dürre Arme, kleine Bein-Stelzen
und vielleicht gehen wir ein
in dem frischem Teer [Staub]
Kein Vogel wird uns besingen
aber sie bringen Autos
auf uns zum klingen

Freitag, 22. Mai 2015

Pathos


Pathos überscheint
Überlichtung durch
Loch um Loch
buntes Drängen
Licht-Ranke um
Licht-Ranke
überwachsen sich
und überschlagen
Dich

Dein Pathos jedoch
besteht aus Grenzen
besteht aus dem
großem Loch
ein zu greller
Schein
und Du fragst Dich:
Was wird dahinter sein?

Schon verfällt das
Greifen nach Licht
es zersticht
Deine Ambitionen
Man hört knisternde
Aufnahmen aus Deinem
Grammophon
schreiend nach
besseren Zuständen

Der Künstler-Mord (Prosa)


Seine Heimat, sein Raum der Lebensluft, seine sakrale Höhle, ölige Gerüche und weite Farben-Spektren, ein buntes Treiben, Zerreiben der Farbpartikel auf unbeeindruckten Leinwänden, Konturen verschwimmen hier und da, Konturen scheinen scharf und ausdrucksstark, sie schneiden in Papier wie Messer, und er war gerne der Messerwerfer - nur stumpfen auch scharfe Messer ab.
Große Fenster in seinem Atelier, zwei an der Zahl, ermöglichten ihm einen weiten Blick über Straßenvenen und pulsierenden Plätzen, herum irrenden Personen, die Blutkörperchen, die ihm (er war gut sichtbar durch die weiten Glaswände) und seinen Werken einen kurzen Blick zuwarfen, sich aber nur allzu schnell wieder abwendeten, ihren Gang beschleunigten, ihre gefüllten Einkaufstaschen mit allerlei kantigem und farbigem teilweise nur mit Anstrengung trugen. Keiner von diesen Menschen könnte in seinem Alltagsstress auch nur ein paar zusätzliche Sekunden zum Bestaunen der Handführungen auf den Bildern, der detaillierten Züge, kraftvollen Farben entbehren. Manchmal schwirrten sie zu ihm, ohne Frage, und wenn sie es taten, dann spürte er es im kompletten Körper, und plötzlich schien sich sein Kopf in solchem Momenten in alle Richtungen ausbreiten zu wollen, als sei er endlich an die Luft gekommen, raus aus diesem kleinem, stickigem Atelier.
Für das Betrachten des Großteil der Bilder fand aber auch er keine Zeit - und doch sah er sie täglich. All diese wunderbaren Gesichter, die er in ihren Momenten einfing, wie er ihre Gesichtspartien bis auf kleine, scheinbar unwichtige Details ausführte, wie er sie beschrieb in fließenden Farben-Worten. Manche sprachen begeistert zu ihm, er bringe mehr Leben auf Leinwände als der lebendige Schauspieler auf die Bühne, und er glaubte keinem von ihnen auch nur ein Wort, spie geistig gegen sie aus, wollte nach ihnen treten und seine Kunst nicht selten nach ihnen werfen.
Und doch zeigte er so oft auf seinen langen Reisen als Maler seinen Dank für jenes Lob, verneigte sich vor dem Publikum scheinbar tief und ehrlich, genoss Brandungen an Applaus, die seinen steinernen Körper äußerlich nach und nach zu zersetzen und innerlich auszuhöhlen drohten.
Zu begeistern waren diese Menschen oft auch durch gleißende Farben, durch bunte Szenen ländlicher Gegenden, wie oft bewegte er sich außerhalb seines Ateliers, wie oft strömten Menschen und manchmal der Regen, um jeden seiner Pinselzüge zu verfolgen, um seine Präzision und Illusion zu bestaunen. Er war Magier auf untypischen Bühnen, und führte ihnen Tricks vor, dessen Erfindung nicht selten nicht seinen Fingerspitzen entstammt und dessen Ausführung ein jeder mit genügend Zeit, genügend Wille zur Unterwerfung unter die Kunst erlernen könnte. Aber jedem das Brot nach seiner Tat, und Taten gäbe es genug, und wer solle sie alle unter einen Hut bringen, so hatte er oft gehört.
Und so bannte er sie mit Farben auf Leinwänden, spannte ihre Umfänge ins kleinere, fassbare - und die Menschen entrissen es ihm, seine Hände konnten oft nicht lange halten, was er denn da geschaffen hatte.



***


Er musste Ordnung schaffen in seinem Atelier, schwere Holzgestelle packen und die Werke in Reihe stellen, fein geordnet, ein breiter Gang zwischen Porträt und Landschaft. Fast wollten die einen auf die anderen blicken, und fast konnten die anderen nicht ohne dem einen existieren, als sei die Schönheit der Landschaften an den Augen dieser starrenden Porträts gebunden.
So schaffte er langsam und behäbig in seinem doch recht hohem Alter einen Gang zwischen den Reihen der Bilder, packte jedoch einige zur Seite, nein, zerrte sie mit einem Krallen in sie hinter seidenen Vorhängen, die nur wenig erahnen ließen, vielleicht blasse Umrandungen der Stative, auf denen sich seine Werke befanden. Wie gerne hätte er sich während der Ausstellung neben sie hinter dem schützendem Vorhang, dem leicht zum Sturz führbahrem, aber schwer im Dickicht der Farben entdeckbarem Wall, versteckt.
Aber doch wurde er das Porträt der Ausstellung, welchem unbestreitbar am meisten Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Und sein Zeichner verstand es, starre Inszenierungen wie im Fluss erscheinen zu lassen. Er war doch ein großer Künstler.
Kurzzeitig erfreute er sich fast schon am Anblick, wie die Mengen durch die Gänge flossen, wie sie all seine ausgestellten Werke (und vor allem ihn) umspülten, diese Fremdkörper, ihm die Hand zur euphorischen Gratulation reichten. Doch verriet der genaue Blick Details, die ihn von seinem Schauspiel abbrachten. Wie sie Porträts und Landschaften mit starren Augenhöhlen betrachteten, wie sie etwas suchten, was sie nicht finden konnten in fremden Gesichtern und Hügeln, Nasen und Seen, Ohren und mühsame Darstellungen der stürmischen Bretagne.
Und wie sie allesamt missachteten, in welchem Zustand sein Atelier sich befand, längst der Verrohung und Zersetzung ausgesetzt, ein sterbender Körper, letzte Atemzüge, ein leichtes Aufblasen der Lungen, ein gequält langes Ausatmen.
Und wie sie stattdessen auf die Gemälde stürmten, diesen euphorischen, Farben in die Umgebung pumpenden Zentren im Raum. Wie sie sie fühlen wollten mit Händen und Augen, und wie sie sie im infolge dessen abkauften und hinaus trugen, nicht ohne einen Stolz, einem zufriedenem Lächeln, das die Lippen umspielt, eine Maske, dem Schauspiel nur zu angemessen.
Wie sie sie aufhängten an einem kurzen Galgen in ihren Räumen, fast schon mit einem Erstaunen auf die Unterschrift des Künstlers blickten. Und mit Verärgern nach einigen Wochen feststellten, dass die Farben langsam verblassten.
Aber dachte er im Moment an das Stimmengewirr um ihn, an die versammelte Presse, im Begriff, Fotos der Bilder zu schießen, sie in schwarz-weißen Impressionen abzudrucken und zugänglich zu machen. Und schon bald vergaß er den Vorhang im Zuge eines herrlichen, schnellen Rausch.



***


Nach Ende einer jeden Ausstellung rostete sein Inneres, sein wertvolles Metall kam nach Abgang all dieser erfreuten, regelrecht berauschten Personen in Kontakt mit der Außenwelt. Sanfte Schichten türmten sich auf seinem Geist.
Er begann, schwere Stative anzuheben und in ihre alte Unordnung zu ordnen. Gänge aufzulösen, sie noch vor kurzem zu ihm führten, und Wege zu versperren mit seinen Werken, ließ Porträts nicht mehr Landschaften anstarren, sondern seine kahlen, weißen Wände - die Landschaftsgemälde jedoch stellte er vor die großen, im Moment mit Licht durchfluteten Fenster.
Und langsam bewegte er sich auch auf die seidenen Vorhänge, fuhr sanft und mit Bedacht über sie, bis er sie entschlossen, ja fast schon mit Gewalt zur Seite schob (sie waren beleibe nicht leicht mit ihren schweren Stoffmassen, die ohne jede künstlerische Inspiration, die man doch sonst erwartet hätte, von der Decke hingen) und mit einer Mischung aus einem schnellem Zurückweichen und einem Lächeln die sich dahinter gähnend und gelangweilt auf Stativen befindlichen Werke sah. Er starrte kurz auf sie, meinte fast, sich in einigen reflektierenden Farben kurz erkannt zu haben, und trug sie in den großen Hauptraum seines Ateliers. Schub seine anderen Werke, seine Porträts und Landschaften, weiter in die Seiten, nein, er öffnete gar kurz eines der Fenster und begann, einige der alten Werke, die nötigen Platz beraubten, mit sich in einem Moment entladener Wut auf die Straßen zu schmettern (er wartete nicht auf Reaktion der Menschen dort unten). Nun war jeder Zug von einem Bildergang vollkommen zerstört, und er eilte, ohne auch nur daran zu denken, dass Fenster wieder zu schließen, zu seinen anderen Werken zurück, jenen Bildnissen, die weder einem Porträt noch einer Landschaft gleichen mochten.
Er stellte sie säuberlich in Reihen, schnell und ohne große Überlegungen, all der Bedacht, den er bei vorigen Bildern anwendete, verrauchte in schnellen Bewegungen seiner Handlungen. Als er wieder Gänge geformt hatte, als er all diese Bilder in Reihen und in scheinbar unvertretbaren Anordnungen sah, so wunderte er sich, warum er den Anblick der Menschen vermisste. Und so trat er selbst durch die Reihen und versuchte, seine Bilder zu betrachten, zu erfahren, und scheiterte an diesem Kunststück.


***


Er setzte sich müde und entzerrt auf seinen beliebig platzierten Klappstuhl, und betrachtete das Treiben aus einer kleinen Entfernung. Seine Erschöpfung der letzten Nacht, in welcher er die Gänge ausbaute und weitere Bilder malte, mehr und mehr Porträts und Landschaften aus dem Atelier verband und durch seine anderen Werke ersetzte, drängten ihn fast in einen gleichgültigen Schlaf, und doch hielt ihn ein kleines, konstantes Erlebnis der Spannung wach, kleine Adrenalinstöße, ein fast nur bei genauer Konzentration spürbares Pulsieren in ihm, in seinem Herzen.
Und fast hatte es ihn gewundert, wie viele sich einfanden, wie viele nun durch die Gänge strömten, wie viele nun auf seine Bilder blickten. Und auch wenn er es nicht anders erwartet hatte, so verwunderte und schmerzte es ihn doch, dass nach einigen Stunden bereits der Großteil die Ausstellung verließ, ohne ihn auch nur anzusehen, geschweige denn zu gedenken, mit ihm über seine kantigen, farbigen, neuen Kreationen zu reden. Aber umso mehr begeisterte ihn der Anblick derer, die auch nach Stunden nicht genug von seinen abstrakten Darstellungen, die es so noch nicht zu sehen gab, ohne klare Linienführung, ohne klares Objekt, mit viel freiem, weißem Raum auf den Leinwänden, nicht aus dem Atelier wichen, es war vielleicht eine Anzahl von sieben bis zehn Personen. Und wie sie letztendlich, fast wie durch die Gänge gelenkt, zu ihm strömten und ihm um Preise für die Werke baten. Sämtliche Werke verkaufte er, am nächsten Tag wolle man sie abholen.


Noch am selbem Abend durchstach er diese Werke mit seinen Pinseln, trat sie, löste die Gänge auf, setzte kurz an, legte neue Leinwände auf die Stative, um neue Werke zu schaffen, zeichnete wirrer und unkontrollierter als zuvor, kolorierte in Wut, in Rot - und beinahe hatte er sie fertiggestellt, beinahe neue Gänge entworfen, neue Anordnungen geschaffen, da begriff er, was er tat, und zerbrach all seine Pinsel in unregelmäßigen Formen, zertrümmerte all seine Stative und Leinwände, schabte sie zusammen in die Mitte des Raumes, riss den Vorhang herab und spannte ihn mit Gewalt über den chaotischen Haufen, übergoss ihn mit all seinen Farben (nicht wenige Ölfarben waren darunter) und zündete an.

Donnerstag, 21. Mai 2015

Schreihälser

Schreihälser
Konzentrierung all
dieser Holzbläser
der Schall
wird langsam erobert

Der Schall verdichtet
er lichtet
fegt Staub von Oberflächen
legt frei neue Flächen
um den Preis der
blutenden Ohren
[wer möchte das
denn hören?]

Langsam aber rieselt
auch neuer Staub auf
die Landstriche herauf
Fenster werden verdunkelt
in den Häusern gemunkelt
in alter neuer Zunge

Und erst wenn der neue
Schall sich ausbreitet mit
Gewalt
zeigt so mancher Reue
tappt kurz heraus
Wie sieht es wohl aus?
scheinbar freigelegt
was doch wunderbares entsteht
wie aufgeregt
nur damit er schließlich
den Holzbläser wieder zersägt
denn man will in Ruhe
schlafen

Mittwoch, 20. Mai 2015

Leere Räume


Leere Räume mit
bunten Farben-Rahmen
Fahnen wehen
durch schwere Luft
unserer Lieblingsgruft

Wahrheit verschlingen, Hunger
zerfrisst die Geistes-Bourgeoisie
Schlucken großer Stücke
Ersticken am Anspruch
Überdecken des makaberen Geruch

Leere Silberteller
blenden stark bei leeren Sonnen
Entweder Festmahl, schwer zu verdauen
oder Silber einschmelzen
und zerbrechen alle Wahrheits-Stelzen



Dienstag, 19. Mai 2015

Rostentferner

Krächzende Rohre
     Sog des Rostentferner
             erfroren in Wasser und Urin
     ein Schluck Medizin
          für zu reine Kehlen
          Werde zum Lehrer

Haut zersetzt sich
            am Rande von
                   brennenden Herden nicht selten
                       Was mochte innerhalb gelten
             Damals wie heute zeronnen


Neues Sodbrennen lässt vergelten
                  und säubert ganz frei
                         jeden erdenklichen Unrat
                                        er führt zur Tat
                            zu sein einerlei


Nihilistische Parade im
Badezimmer

Montag, 18. Mai 2015

Licht-Invasion

Tränen haben
Sonnen-Birnen
Strahlende Gegenstände
Bereit, Licht
aufflammen zu lassen

Kleine Leuchtbälle
zwischen dem Laubgemenge
Glitzernde Blätter
schönstes Abendkleid
der Natur
Stoff aufwehend
am Ende

Wolkenkruste
wird aufgebrochen
(Licht-Invasion)
Einsam beobachtet
er die Schauspiele
Und fängt selber an
Licht zu reflektieren
Zurückzuwerfen zur Sonne
(Feuerball auf nackter Haut)

Alltagspoesie


Alltagspoesie
Papierrascheln im
Vakuum
der Sinn
blickt durch dünne
Fenster
Blockade durch
Pappschachteln

Ordnen von Organen
Lunge weg gesperrt
Altern im zähem
Radiergummikopf
Zerreiben an
fremden Schriften
Topfpflanze im Topf
gelassen

Uhr als Kunstwerk
verehren
Köpfe anspitzen
und
Radiergummi-Staub
auf Alltagslaub
streuen

Sonntag, 17. Mai 2015

Wind und Sonne

Strahlende Wärme
entbehrt sich
einem Gefüge der Gedärme
Ein Zusammenspiel
aus Kälte, Wind und
Rationalität auf Stelzen
Nichts konnte sie erkennen

(Er mied Tage, an denen die Luft mit Hitze erfüllt war. Nur bei Erwartung eines Windes, der das Temperament der Wärme zu kontrollieren wüsste, nur wenn er sah, wie sich Bäume bei der berstenden Kraft hin und her wiegen, wagte auch er Schritte nach draußen)

Wer Sonnen sieht, braucht
Sonnenbrillen
Beiß in die Rillen
die so wunderbar passen
zu Deinen Plastik-Zähnen

(Der Wind reißt ihn zur Sonne)

Feuer eint


Feuer eint
wenn wir beide
von Flammen geschluckt
werden
haben wir nichts zu
entbehren
Wir kennen keinen Feind

Feuer eint
neue Gussform
für unsere Körper
geschaffen
Furcht ist gebannt
wenn wir kollektiv
erschlaffen
Wir kennen keinen Feind

Feuer eint
längst die Grobheit
in Rauchsäulen aufsteigend
gereinigt
Nun sind wir Quellen
von klarem Wasser
tief vereinigt
Wir kennen keinen Feind

Feuer eint
selbst wenn sie blicken
Flammen nehmen und
sich anstecken wollen
uns die Luft nehmen
unser Fundament bringen
zum Grollen:
Wir kennen keinen Feind

Samstag, 16. Mai 2015

Verdichtung (Prosa)


Er drängte die Enkelkinder mit brüchigen Handbewegungen, kurzen Momenten des Aufleben scheinbar, zu sich, näher zu sich in diesen Minuten des vielleicht letzten gleichgültigen Starren aus dem sich neben ihm befindlichem Fensters. Sein Blick schweifte von einem Baum zum anderen in diesem weitem, verdichtetem Wald, in diesem beschützendem Konstrukt, durch das niemand sehen konnte. Niemand sehen wollte.
„Niemals nahm ich an, ich würde mein Leben jemals so betrachten“, begann seine zittrige, jede raue Textur im Raum in sich vereinende, mit dem kalten Wind der Außenwelt, auftreffend auf die Wärme des menschlichen Körpers, zusammenführende Stimme, „nein, niemals nahm ich damals an, wie sich all diese Szenen, all diese Bilder verdichten würden. Das Leben ist eine Radikalität, ein Wegstreichen all jener Füllwörter, die doch so oft erst die Lücken füllen, die nicht leer gelassen werden sollten. Eine Korrektur auf den Kern, eine starre, kalte Zusammenfassung ohne Details - ich sehe mein Leben bereits in der Verdichtung, und ich sehe, wie diese Verdichtung mühsam versucht, mein Leben noch ein wenig zu halten. Doch ich spüre auch, wie diese Verdichtung bröckelt unter seiner eigenen Last. Längst konzentriert und doch zu ausschweifend, immer wieder ins Boot steigend, das mit der eigenen Insel verbundene Seil kappend, losfahrend - aber weder die eigene Kraft für die Ruder mag reichen, noch wird der Wind einen unterstützen in seinem Vorhaben, in seiner wilden, jugendlichen Intention. Die eigene Insel ist erkundet, die Gefahren erkannt, wenn auch nicht gebannt - aber entfernen wird man sich nie.“
Seine müden Augen, zu weise, um Erkenntnisse zu sehen, schlossen sich immer wieder langsam, und er legte seine kantigen, knochigen Hände zusammen, bevor er erneut ansetzen wollte. Ein leichtes Husten erstarrte die Luft, die Kinder drängten, er müsse doch weiter reden.
Er blickte langsam auf sie, ohne seine Gesichtszüge merklich zu verändern.
„Meine Säulen werden brechen, die sich davor so stolz darauf emporragende Statue wird fallen, der Kopf zuerst abbrechen und über die Steine des in Vorahnung erbauten Gedenkplatzes rollen. Und er wird stoßen gegen die Gedenktafel, die versucht, diese eingestürzten Säulen zu beschreiben in Wörtern, und der Kopf wird einen tiefen Riss bekommen. Und nun versuche auch ich, all diese Dinge zu verdichten, nun versuche auch ich, einen Fluss in einen Teich umzuformen - und mich würde es wundern, gelänge es mir auch nur im Ansatz.“
Seine Augen-Lieder schlossen sich langsam, sein Atem wurde ruhiger, kontrollierter, gefasster, dann unregelmäßiger, aber dennoch in einer ewigen, tiefen Ruhe, kurzzeitig ein Ebenbild der Raumluft. Die Kinder zerrten an seinen Beinen, eines deutete auf ein Bild eines auf dem Wasser treibendem Bootes an der Wand hinter dem Großvater, verlangte nach mehr Erklärung. Was sei seine Insel, wo ist sie?
Doch dieser verdichtete Mensch zeigte seinen letzten Vers.

Banner (Prosa)


Große Banner, die sich immer noch hinter ihnen befindliche Leere der weißen Wände äußerlich füllend. Bröckelnde Spiegel verdeckend, lähmende Spinnenweben vernichtend, alle Löcher zumindest für den Moment gestopft - sie benötigte keine Tapete mehr, jeder Fleck war längst gewandelt durch Weltkarten. Jede Ecke war gefüllt mit Landstrichen, mit schematischen Wasserabbildungen, geradlinige Schriftzüge, die jeweiligen Ländernamen verkündend, ein buntes Kabinett der Nationen. Sie liebte Weltkarten in einer seltsamen Beziehung, keine Wand blieb verschont, sie musste füllen, aus dem Drang, so dachte sie, selber gefüllt zu werden.
Aber vielleicht sah sie in den Karten etwas anderes, wenn ein zarter, sterbender Lichtstrahl der verdorrten Abendsonne (sie nannte sie in diesem Zustand auch „gereift“) mit letzter, zittriger Hand über die Erde ihrer Karten strich, dessen Sand aufwirbelte und den feinen Partikel-Staub ins natürliche Scheinwerferlicht rückte - vielleicht sah sie, wie sie der Erde ihre Formen nehmen konnte. Vielleicht spürte sie, wie sie gewaltige Szenen in ihre kleine Welt rücken konnte (oder eben nicht), auf Plastikpapier gedruckt, in ein paar Farben gehalten, wie keine Stelle der Welt ihrem Blick entweichen konnte. Vielleicht spürte sie ein Wissen, ein Kennen all dieser Wege, dieser Flüsse, dieser Städte, dieser Menschen, dieser wunderbaren Menschen - vielleicht wollte sie in ihnen Heimat spüren. Nein, sie wollte nicht fliehen, sie wollte keine Dinge in ihren Geist adoptieren, wie könnte sie all das tragen ohne ihre stützenden Wände? Die Welt brauchte einen Grund, Stützen, und sie konnte nicht die Säule sein für dieses herrliche Monument; längst vergötterte sie die Wände, die sie zu keinem Zeitpunkt erblickte, längst sah sie einen sie auffangenden Schutz, längst wurde auch sie getragen wie die vielen Welten, die an ihren Wänden hingen. Längst hatte sie sich eine eigene Welt geschaffen - keine großen Sehenswürdigkeiten, jeder Tourismus erstickt angesichts der herrschenden Instabilität, eine Diktatur der sanften Zersetzung, eine Natur der melancholischen Ruhe, ein weltoffenes Volk mit nur einer bekannten Welt. Wie könnte sie ihre Welt verlassen, wie konnte sie denn auch nur andere erblicken? Sie sah hin und wieder aus dem Fenster glänzende Goldkonturen in der Ferne, und dabei versuchte sie in einem verzweifelten Griff, diesen Goldschimmer aufzufangen und daraus einen neuen Wandbelag zu formen. Doch pustete sie die sanften Goldfragmente in ihrer offenen Hand oft selbst kurz vor dem Moment, in dem sie sie in ihre Welt trug, in die Luft jener einsamen, warmen Sommerabende, ein glitzerndes und tänzelndes, sich in die Weite entfernendes Luftspiel. Der Winter schneite nur ihre Fenster und ihre Tür zu - darum mochte sie ihn umso mehr. Denn so hatte sie einen Grund, keine Reise aus ihrer Welt zu starten. So hatte sie Zeit, ihre Weltkarten anzustarren und sich auszumalen, wie es denn dort aussehen mag.

Freitag, 15. Mai 2015

Akustik-Distanzen (Schlaf)


Akustik-Distanzen
Wer schläft nicht gerne ein, wenn ein Stimmgewirr sich zusammensetzt zu buntesten Decken, tibetische Stoffflaggen -
Lieder erschweren
angesichts der Konfrontation
Leichter Trommelschlag und Stimmen,
wunderbare Stimmen, zu einem
ungeradem Chor erhoben
[nicht bemüht um Noten, kein Totem
in der Mitte, kein Dirigent, der Töne
benennt, oder es wagen mag]

Sanfter Moment, Wärme an
jeder Ecke
Endliche Distanzen, warum müssen sie enden?
Eine Dokumentation über Tibet schleicht sich langsam über den Bildschirm, flimmernd, eine tiefe, gealterte Stimme aus dem Off, Flimmern hinter den Lieder-Wänden, warme Orange-Farben, Herbst und der warme Winter inmitten von Kissen, um Schnelligkeit bemüht, aber sanft und breit, wie ein Spaziergang an einem Spätsommertag, gegen Ende leicht gehetzt angesichts der sich in der Ferne aufbäumenden Regenwolken -
und diese Akustik-Distanzen
langsam tragen sie
in den wohligen
Schlaf-Nihilismus

Prozess

Inneres nach außen stülpen
[innere Schönheit ist oft hässlich]
mit kantigen, zittrigen Händen
scharfe Bomben entschärfen

Jeder Schritt Knochenbruch
Marathon über Gefälligkeiten
der Vergangenheit

Zuschauer starren auf das
Wettpferd mit Menschenkopf
Packen jenen am Schopf
der über das Gras flieht

Zuschauer haben Pferdeköpfe
und erkennen ihren Körper
im Rennen
Wer bekommt zuerst
seinen Unterleib zurück?

Der Prozess entschied:
Pferdekopf und Menschenkörper
wie Menschenkopf und Pferdekörper
sind untrennbar

Donnerstag, 14. Mai 2015

Schwingungen (Prosa)

Manchmal hatte er durchaus Bedenken, sein Klappstuhl könne durch die plötzliche Last seines stämmigen, dennoch gebrechlichen, alten, wie er es zu nennen pflegte „durch die Erkenntnis des menschlichen Goldes ausgezeichneten“ Körper zerbrechen. Sein Rostklumpen-Körper (so nannten ihn andere) würde ohne Reaktion, ohne Möglichkeit zur Reaktion in den Sand fallen, und wie könnte er sich aus eigener Kraft erheben?
Aber jene Gedankengänge verschwanden schnell, sie ertranken regelrecht beim Anblick des sich vor ihm erstreckendem Wassers, weit, Blicke und Eindrücke, die nur er entdecken durfte, Impressionen, Bilder, die nur er betrachten konnte. Auch der Feuerball sank von seinen hoch strebenden Taten des Tages, tränkte seine mitreißende Euphorie, seinen auf jeden Menschen nieder prasselnden Funken-Regen in kühles, gleichgültiges, den Tod des Tages wortlos hinnehmendes Wasser. Dieser Prozess des Untergangs war Anfang seines nächtlichen Rituals, und er beobachtete es nur beiläufig - der Tod verliert schnell seinen Reiz, wenn man zu viel von ihm kostet.
Nein, sein wahrer Grund waren Schwingungen. Er betrachtete das Meer, lehnte sich dabei stets leicht zurück in seinen Klappstuhl (bei diesem Vorgang keimten nicht selten seine Ängste des Fallen auf den Boden wieder kurz auf), stützte seinen Kopf in seine rechte Hand, dessen Ellenbogen er auf die entsprechend vorgesehene Stuhlstütze legte. Und strich seinen ungepflegten, über die Jahre stark gewachsenen Bart, in monotonen Bewegungen, ein nicht störbares Metrum, und vielleicht folgte die Stille dem Takt ganz leise.
Sein kalter, dennoch interessierter Blick zählte nun in absoluter Konzentration Schwingungen. Kleine, sich bewegende Wasser-Wände, die drängten und rannten über die Oberfläche, man konnte meinen, sie würden einen Konkurrenzkampf ausfechten, sie wären Feinde - aber stammten sie nicht alle aus demselben Wasser? Und flossen sie nicht elegant und ruhig ineinander, wenn sich ihre zarten äußeren Wasserteile berührten?
Oft fragte er sich, wo diese Schwingungen ihren Ursprung fanden. Waren es Schallschwingungen? Wer brüllte über das Meer, wer wollte mit ihm reden? Waren es Schwingungen der Bewegung? Wollte sich jemand retten, jemand gerettet werden, bekämpfte jemand das, was der Feuerball so willig in Kauf nahm?
Seine Faszination für die Schwingungen wuchs mit jedem Tag, sein gebanntes Starren dauerte Stunden an, ruhig, losgelöst von Bewegungen. Die frische Luft des Meeres, die ihn überall leicht kitzelnde Kälte des Abends und der klaren Nacht waren nur Rahmen, ein wertvoller, künstlerischer zwar, aber nicht der Blickfang.
Jene Nacht, die seine Beobachtungen der Schwingungen jedoch grundlegend änderte, machte keine sichtbaren Anstalten, sich von anderen Nächten zu trennen. Und doch sah er schon bald Türme statt kleine Wellen, berstende Wasser-Festungen, androhend aus der Ferne rollend. Berührten sie andere Wasserskulpturen, so zerflossen sie nicht ineinander, sondern brachten sich gegenseitig gewaltig zu Sturz, überstürzten sich in ihrer wallenden Intention, funkelnde Wassertropfen flogen durch die Luft. Ein paar berührten auch seine Stirn, und er setzte zu Bewegungen an, beugte sich leicht nach vorne, um die Veränderungen genauer betrachten zu können.
Und schon bald wusste er, dass das Brüllen und die Bewegungen, dass der Ursprung seiner geliebten Schwingungen zum letzten Schrei ansetzte, alle Kräfte wandelte und übersetzte. Er sah keine Gründe zum Handeln, verharrte in seiner Position, betrachtete mit großem Interesse. Wellenfronten näherten sich, langsam beschleunigte sich das Metrum, in dem er seinen Bart kraulte. Sein Mund war leicht geöffnet.
Erst, als jenes Wasser seine Füße berührte, erst, als seine Hose durchnässt wurde, da setzte auch er zu Bewegungen an. Seine Hand verließ seinen Bart, er versuchte, sich aufzustemmen. Übte Druck auf den Stuhl aus, der infolge von seinem plötzlich untragbarem Gewicht jämmerlich und ohne jeden Widerstand zerbrach, ja regelrecht die Kapitulation leise verkündete.
Eine große Welle erfasste ihn, als er, ohne jede Regung, im Sand saß. In den nächsten Tagen wurde seine aufgedunsene Leiche von einem Fischerboot aufgelesen.

Mittwoch, 13. Mai 2015

Nur Pappe brennt (Prosa)

Feuer auf der Haut, getränkt in der Schwere des Öles. Wie kann diese Feuchtigkeit nur auflodern? Tanzendes Spiel der Säulen, ihre Farben in bunten Kombinationen wechselnd, bereit, immer wieder ihren Part zu wechseln, Neon-Reklamen auf einen menschlichen Körper, wer könnte denn den Blick abwenden? Ein kleines Tokyo, ein kleines Stückchen Modernität [oder Altertum], und schon meinte der eine oder andere, Hochhäuser aus der wüsten Erde dieses buddhistischen Landes ausmachen zu können. Schon bald würden Straßen-Adern pulsieren, kleine Blutkörperchen über sie fahren und die Organe mit neuen Nährstoffen versorgen - aber erst einmal musste sich eine Verträglichkeit einstellen, erst einmal musste man sanft kosten, die Zunge an das Objekt tasten lassen, Form und Oberfläche fühlen, der Geschmack war erst einmal zweitrangig. Dann, nach Minuten des Erforschen dieser fremden Statue im Mund zubeißen, die Augen tränen lassen - „diese südlichen Zitronen sind doch kein Genuss!“

Die Reklame brannte, unendlicher Stromfluss aus Leitungen der Luft, niemand konnte sie sehen. Ein Knistern, ein Zaudern, eine flackernde Lampe in einem dunklem Keller, in den sich niemand traute, vielleicht aus Angst, über die vielen Dinge zu stolpern, vielleicht aus Angst, mehr in der Dunkelheit zu sehen als nur die Dunkelheit. Denn ist nicht die Dunkelheit immer noch der beste Spiegel?
Blitzlichtgewitter von außen, Zittern, ein erboster, mahnender Kontrast, Farbverläufe, zu scharf für das ungeübte Auge, zu subtil und versteckt, ein zu oft nicht gehobener Schatz, in einer schweren und unhandlichen Schatztruhe. Kunst für die, die Kunst nicht verstehen wollen [das Gehirn versteht alles].

„Stecke den Schmerz in einen Pappkarton, stecke Dein ganzes Leben in ihn, distanziere Dich, spüre Deine rohe Hülle - es ist Zeit, Dich zu häuten. Zünde die Pappe an, und blicke nicht auf den Karton zurück. Du bist nicht die Pappe, und glaubst Du, das, was darin ist, könnte brennen? Du bist nicht die Pappe, also spürst Du auch nicht die Pappe.“

Ergötzen des Kunstwerkes, Knie fallen auf den Boden nieder, Muskeln entspannen [seine waren zusammengezogen, starr - er wurde zur Statue].

„Wer bietet die meiste Verklärung auf diese Skulptur?“, sagte der Kunstaktionär, während er mit seinem langem Zeigestab auf den verkohlten, toten Buddhisten zeigte.

Haiku (2)

Die Bergspitze ist
leicht verdeckt
hinter den Wolken


Einsamer Wanderer
schluckt den Nebel
wie Wasser


Ein fester Schritt
gräbt sich ein
und zerstört


Die Sonne
log ihm fröhlich
ins Gesicht


Auf der Spitze angelangt
wollte er doch
so schnell wieder herunter


Wolken verdecken die
Sonne, aber nie rauben
sie ihre volle Pracht