Sanft berührte das Gras ihre länglichen, durch Blut und
Dreck verschmierten Beine. Sie rannte. Rannte vor den Kreaturen ihrer Psyche.
Vor den Feinden ihrer eigenen Vorstellung.
Sie blickte um sich, lies ihren Blick schweifen, doch nichts
außer Gras, langes Gras, Gras, das an die zehn Zentimeter Länge misste. Sie
liebte das Gefühl von feuchtem Gras, die Frische, die Lebensfreude, doch in
diesem Moment, in dieser Situation verabscheute sie das Gefühl. Nein, das Gras
beschwörte gar Übelkeit herauf, ließ sie stocken. Sie zwang sich innerlich,
Schmerzen zu unterdrücken, zwang sich, sie zu ignorieren, schließlich „waren
sie nur Produkte ihrer kleinen, jämmerlichen Psyche – nicht mehr.“ Doch ihre
verrückte Seite widersprach der Vernunft, ließ den Schmerz pochen und pochen,
bis sie Krämpfen erlag und auf den Boden sank. Erneut spürte sie das saftige
Gras, nun am gesamten Körper, der nur in ein leichtes Tuch gehüllt war. Ein
komischerweise befreiendes, wohliges Gefühl. Sofort formten ihre Lippen ein
Lächeln. Ein zufriedenes, zutiefst glückliches Lächeln. „Warum kämpfen, wenn es
so einfach ist?“, sprach ihre innere Stimme. „Warum kämpfen, wenn man sich
fallen, sich betten lassen kann unter der Decke des … Wahnsinns?“. Das letzte
Wort hallte in ihrem Kopf. „Wahnsinn.“ War sie wahnsinnig? Hatte sie den
Verstand verloren? War sie gegangen, und kannte sie den Weg zurück nicht? Ihre
Vernunft kämpfte gegen den Wahn an, sie strampelte, sie zwang sich,
aufzustehen, weiter zu rennen, weiter,
weiter, bis zum Ziel. Was das Ziel war? Sie wusste es nicht. Und vielleicht
wollte sie es auch gar nicht wissen.
Sie konnte sich langsam erheben, ihre schwachen Beine gaben
ihrem Körper zwar anfangs nach, doch sammelte sie Kräfte, um erste Schritte zu
wagen. Und sie gelingten. Sie begann, ein schnelleres Tempo anzusetzen,
beschleunigte weiter und weiter, bis sie zu einem Rennen gelangt war. Sie
blickte erneut um sich, und sah, wie sich ihre Umgebung verändert hatte: Bäume
umringten sie von allen Seiten, Blätter wurden getragen durch das Spiel der
Winde, ein Bach fand sich zu ihrer linken, seichte Sonnenstrahlen durchfielen
das grüne Blätterwerk der Bäume und Pflanzen. War sie angekommen? Angekommen im
Paradies?
Die Uhr tickte. Sie spürte die Schläge. Jeder Schlag stärkte
sie. Schwächte sie. Machte sie zum Teil des Prinzips des Lebens. Alles ist in
Bewegung, alles verletzlich, doch ebenso unendlich. Keine Konstanten. Keine
Begrenzungen. Alles.
Bewegungen zerflossen in eine bloße, unscharfe Kontur. Ihr
Denken wirkte verzerrt, konfus, durch den Schleier der Unwissenheit durchzogen.
Sie blickte umher, versuchte, klare Gedanken zu fassen, doch gelang ihr ihr
Vorhaben nicht. Ein frischer Hauch durchzog ihre Nase. Luft durchströmte ihr
Inneres. Erfrischend. Ein Zuschuss der Energie. Ein Zuschuss der Hoffnung, ein
Zuschuss des inneren Antriebs. Ein Zuschuss des Lebens.
Dann: Bunte Schleier, konfuse Formen, sie schienen keiner
Logik unterworfen zu sein, lebten frei und ohne Dränge, tänzelten umher in der
Sonne, nahmen mal groteske Formen an, mal Darstellungen unglaublicher
Schönheit. Farben, dachte sie, sind die Würze des Lebens. Sie wusste
nicht, woher dieser Gedanke rührte. Doch er erfüllte sie mit tiefer innerer
Zufriedenheit; sie war komplett, und sie bestaunte die Pracht der Farben, die Pracht
des tanzenden Lebens, das sich direkt vor ihren naiven (oder doch wissenden?)
Augen abspielte. Das war der Quell innerer Zufriedenheit, das war der Quell des
maximalen Lebens.
Ein paar seltsame Melodien. Eine leichte Sinfonie ohne
Anfang und ohne Ende. Eine endlose Schleife an Tönen, die sich zusammenfügten
zu etwas bedeutungsvollem. Beachtete sie es? Sie wusste es nicht. Sie
durchschritt die Mauer der Farben, fühlte die leichte Kühle der bunten,
tänzelnden Formen an ihrem nackten Körper. Ihr Tuch war ihr mittlerweile
entglitten, und sie fühlte sich komplett.
Leichte Tropfen
liefen ihren Körper hinunter, ein breites Meer eröffnete sich vor ihr.
Bunte Schwaden der Farben füllten den Himmel, ein Vogel, grässlich entstellt,
und doch vollkommen und wunderschön, flog zur Sonne und wurde eins mit ihr. Das
Meer rauschte in der Ferne, obwohl es nah, obwohl es direkt vor ihr war. Sie
wagte einen Schritt, und spürte das feste Wasser; fest wie Beton, und doch
flüssig. Es gab nicht nach, doch fühlte es sich erfrischend und neu an.
Vollkommen und unendlich.
Sie ging und ging, blickte hinauf in den Farbenhimmel,
fühlte leichte Sonnenstrahlen, die ihre Brust und ihren Bauch erwärmten.
Fische sprangen aus dem Wasser empor, formten Säulen um sie,
Bäume säumten den Weg links und rechts von ihr. Woher sie stammen? Aus den
Tiefen ihrer Fantasie? Oder waren sie reale Produkte einer irrealen Welt?
Sie schritt vorwärts, stets begleitet von einer seltsamem
Musik, einer seltsam beruhigenden Melodie, einem Musikstück der Unendlichkeit
und der Schönheit einer freien Taube.
Sie guckte um sich, erstarrte immer wieder, hielt inne für
die Schönheit der „Welt“. Sie war gefangen in Träumen der Ästhetik, sie war ein
Quell der Freude, einer, der sämtliche positiven Dinge intensivierte. Sie war
ein Magnet für das Gute.
Das Wasser fühlte sich sandig an, sie legte sich, und genoss
das Gefühl des kribbelnden Sandes an ihren befreiten Körperpartien. Sie blickte
empor, strich sich Haaressträhnen aus dem Gesicht, und sah, dass sie sich
inmitten einer Wüste befand. Dünen säumten weite Strecken der Landschaft, wilde
Tiere, die sich nicht beschreiben lassen, aber unglaublich heilig wirkten in
einer Religion des Friedens und der Liebe.
Sie füllte ihre zarten Hände mit Sand und schmiss ihn in die
Höhe. Er zerbröselte, bedeckte nach und nach ihren nackten Körper. Sie spürte
das leichte Kitzeln, ein leichtes Lächeln entsprang ihren Mundwinkeln. Wilde
Pferde ritten in der Entfernung um die Wette, ein Adler umkreiste den eigenen
Kosmos der Wüste, nein, nicht auf der Suche nach Nahrung, sondern auf der Suche
nach ewigem Frieden.