Poetik für den Vorwand.

Freitag, 25. Mai 2018

sommer

die fliegen schlagen sich
am himmel tot
ich gehe heim von einem himmelslosen
ort wo dein name chinesisch
auszusprechen ist
wo die wolken brennen und die
lippen voller scharfem wein
und zimt sind
wo jeder dorthin geht, wo er zuletzt
gewesen sein würde
gäbe es nicht das meer
im winter

dieser schnaps mit zimt

keine zeit
das leben bleibt geschenkt
- nicht nach dem krieg, der im sommer
aufhörte -
und man bleibt unerkannt
unter menschen
man bleibt kein mensch unter
unerkannten
ich bin der bastard unter den sternen
aber es sind auch nur
mütter mit spröden
lippen, die sich um mein bett drängeln
bevor ich einschlafe.

bloß

keinem etwas zuleide tun
wenn die welt
dellen hat
und am strand
jemand flüstert:
ich liebte dich

enthaltung in neu-china

die bäume bleiben ein produktionsfehler
darum bist du hier
mein freund imitiert meinen feind
mein feind imitiert keinen
du hast mich heute angefasst, als ich nicht
hinsah

dafürhalten

ich höre die ganze zeit
meinen namen
wie die anfangsbuchstaben
von unbekannten wörtern
ich bin auf einer insel, die
aussieht als sei alles um den mond
herum ausgelaufen
die aussieht wie das straßenlicht
unter dem ich grau werde, wenn ich
angst habe.
ich vermisse dich.

weisheiten zu guter gesellschaft

wer nicht weggeht, der wird auch nicht wiederkommen

wer unter seinesgleichen bleibt, der bleibt allein. und wer allein bleibt, der verlernt das sprechen

wer immer alles weiß, ist ein gott, an den nicht mehr geglaubt werden muss

zeit verschwenden: am leben bleiben

Sonntag, 20. Mai 2018

den kürzeren

ich ging nicht nach
hause zwischen den knallenden
drachen hindurch
meine pause dauerte nur ein nicht
erlebtes jahrhundert
alles raschelt, als würde der wind
zu blut
wenn man die welt kennt, in
der man mit offenen ohren
einschläft

einigkeit

die tage hören auf.
kanzler kohl hatte nie
die absicht, eine mauer
zu stürzen
und ich glaube, mit der zeit
bedeutet alles mehr
so, wie der krieg mehr bedeutet
nachdem die männer mit
taschentüchern aus den zügen
gewunken haben

ich habe es dir versprochen

dir ist es erlaubt
das zu tun auch wenn
es der welt nicht erlaubt
ist
wenn die zeit rast
weil sie zeit heißt
und man am wenigsten
zeit mit sich selbst
verbringt

antwort an bertolt

zuhause laufen die vögel
auf der luft -
weil es anders sein wird,
als es ist, ist es anders
denken dauert zu lange und
man ist zu früh -
man findet sich wieder,
nachdem der tag ins meer
gestürzt ist

mängelexemplar

ich kann nicht einschlafen,
wenn ich meinen herzschlag
höre
ich habe das letzte bison nicht
erschossen in
polen
es klingelt an der haustür, ich gehe
hinaus und schließe ab
(so viel nächstenliebe, dass man jetzt schon
den nächsten wählt)
wo liegt amerika, und wo liege ich?

zweiter klang

wut ist nur etwas wert
ist man auf sich selbst wütend
plötzlich aus der rippe eines gotts
entworren
plötzlich angst in der versteckten nacht
plötzlich brennt die lichterkette
plötzlich ein bienenschwarm in
deinem geilen maul
plötzlich dreht sich die welt auf
der stelle
plötzlich weißt du alles und
sagst nichts mehr

zürich?

die einem alles sagen
was sie nicht denken können,
das sind nicht die hungrigen, die
einsamen, die liebenden, die
neuen,
kein kommunist, kein faschist,
kein freier, kein geier,
kein untermensch, kein unmensch,
kein präsident, kein letztes hemd,
das sind kinder,
die wissen, dass sie kinder sind.

und in der sommernacht leuchtet alles von innen heraus, wie ein flüstern

Sonntag, 13. Mai 2018

mit bach, mit brecht

der morgen kommt, weil die
sterne bleiben
der krieg geht, weil die soldaten
bleiben
hitler ist ein toter mann
im sommer schläft man draußen
alles blendet, und die nacht
ist hell wenn man die augen schließt
aus ruinen ersteht man nicht
auf man schafft sie
beiseite

mitunter, mit dir

das meer richt nach zimt
und zweitschnellsten denkern
schwarze löcher in einer blinzelnen nacht
ich sah den berg, unter dem ich schlief
du sagst etwas über meine augen, ich
starre in deine
wir liefen auf neuem gold
und der mond geht auf am morgen
salz im mund, und zum abschied nehmen wir das meer
mit

großer gott

ich habe zwischen den betten geschlafen.
wovor mich keiner warnte,
das bleibt deren geheimnis
ich sah alles und
blieb ruhig
wie ein klassenfeind.
als jemand dann sagte,
"verführe mich!",
da war ich gerade so erwachsen, dass
ich wusste, dass ich mal
ein kind war

anerkennung

ich habe mich erschrocken
als du geseufzt hast
ich werde mich nie wieder
erschrecken weil
du nie wieder seufzen wirst
es ist nie wieder zeit, und
das warme blut an deinen
händen
kommt von dir selbst
du bist der letzte inquisitor -
sag, glaubst du jetzt
an mich?

frage des tages

was passiert, wenn sie näher kommt -
wenn ich meine beine gegen
flügel eingetauscht habe?

daher

man will die worte loswerden
so, wie man das leben nicht loswerden kann
man lässt die sonne nicht herein
sonst wächst man noch, bevor
man isst
man besticht sich gegenseitig
und glaubt an nichts genug
um es anzuzweifeln

hand und kopf

deine stimme, wie von einem
zahnlosen gott
die luft wird zu einem mückenschwarm
und du fliegst immer noch nicht?
du musst wohl
der mann sein, den sie erde
nennen
der mann mit zu großen füßen
für das all

fischer

im leuchtturmschein
erblindet die see
als ich die
ganze nacht herausfische
wie einen schreienden aal
und auf ihr stehe
wie ein toter französischer könig
bemerke ich, dass ich nicht
auf wasser gehen kann
und schlafe ein mit offenem
mund

epilog

man will zu allen zeiten
schlafen ohne morgen
wie der machtlose sich
zerstört
bleibe ich
unter einem himmel, der so
blau ist, als sei man
feuer
höre ich ferne stimmen, die sich
nähern wo ich doch
nicht mehr bin?

rückkehr von cabo frio im sommer

wenn du deine augen schließt
ändern die schatten ihre farben
und das gold der inka
das nazigold
und der diesjährige sommer -
schreib schonmal die rechnung für
den hänker.
wir haben die wurzeln am stück geschluckt
als es keine früchte
mehr gab

Samstag, 5. Mai 2018

vier weisheiten

wir lügen nicht, wenn wir sagen, dass wir schweigen

niemals schreiben, wenn es auch gesagt werden könnte

das ende naht, meine freunde - nähert euch darum dem ende!

melancholie heißt, die trauer zu verlieren und nichts an ihre stelle zu setzen

monotheismus

ich komme heim
niemand kann mich sehen,
wenn ich sie nicht sehe
bis ich mich sah
die russische literatur verbrannte
und heimkehrte
nicht nach athen
nicht nach tel aviv
nicht nach amerika
sondern zwischendurch
gläubig geworden

hin

ich stand daneben, als es niemanden
mehr gab
gott ist mein hirte
ich bin ein wilder hund habe schon
so manches mal kapituliert, als
es mich nicht betraf
im sommer ist es, als wären nie
alle erstgeborenen gestorben
wenn die mücken summen
wie stiere in spanien, die ich
noch nie
gesehen habe

frankreich im sommer

nein.
ich bleibe auch nach dem krieg
versteckt
man wusste auch vorher nie
bis man es
wusste ...
nein!
man lebt, weil man frei ist, sich
als lebend zu bezeichnen,
und unter diesen bäumen fühle ich
mich als schliefe ich unter der
erde

jakobiner

ich sitze in behaupteten
jahrhunderten, gehe zwischen
menschen, die beide
augen zudrücken, zum ersten
mal wurde es nacht, als
ich dich sah, aber mehr auch
nicht.
hierzu: es bleibt beim alten, wenn
das neue das neue
bleibt

Dienstag, 1. Mai 2018

pierre besuchow

meine unbekannte helene
kriegsgefangene, dienstverweigerin
gott hat den ballast abgeworfen
ich bin niemandem etwas schuldig,
ich begrabe mich jede nacht
natascha, wenn im himmel weder tag
noch nacht ist,
darf man dann hoffen?

hochleben

der letzte tag ist der
gleiche tag
die lichter sind tote geister,
oder der moment, in dem
ich dir den mund
zuhielt
die zeit vergeht auch ohne mich
nur mit mir tut sie das
schneller

analogie

in einem unwetter
habe ich das mitleid
zu mir selbst
verloren

einmal darf

man sitzt am rande
hinter einem nichts, vor einem
alles und man fragt sich:
ist man zuhause?
bleibt der himmel tod?
fängt es an zu regnen
wenn du sprichst?
ich habe burgen gesehen
und nie berge

weißer zunder

verbrennst mir die zunge
in einer weißen frühlingsnacht
hast das rauschen schon von weitem
gesehen und
bleibst unter der erde
du warst auf einem porträt in new york
bevor du gelebt hast
jetzt hast du noch nie
nürnberg gesehen

auch wieder

in deiner vorstellung
schaut die welt von außen zu
es darf nicht um mich gehen
wir alle nur köche auf der
expedition, hast du dir einen
vater erfunden?
südafrika nie gewesen, nach
portugal zu fuß