Poetik für den Vorwand.

Donnerstag, 28. Dezember 2017

augenkontakt stadt

du sowieso
in meinem letzten heimatort
hier bin ich, und bin kein
prophet mit orden
kein blumenverkäufer zwischen
unbesetzten augen
ich habe keinen balkon, und ich
rauche auch nicht
ich wohne nicht in deiner nachbarschaft
aber direkt daneben
ich warte, bis die sonne aufgeht, um
das licht auszumachen

verdunkeln

welt, sei ruhig
nicht zu wecken die, die
unter dir für immer schlafen
(darf man das?)
und verschlafen die vergangenheit
wie ein heimatsdorf.
welt, sei ruhig, sonst
wirst du noch entdeckt
von denen, die lauter sind
als du,
die neugeborenen.
welt, sei ruhig
und flüstere zu niemanden
er wird es dir danken.

Dienstag, 26. Dezember 2017

aphorismen

hieronymus bosch: mensch, der mensch bleiben wollte

der krieg will den frieden, der frieden will den krieg

ein freier mensch: ist er denn menschlich?

gegen den eigenen willen allein sein: frei zu sein unter freien menschen

geduld ist die einzige zukunft: in ihr läuft die zeit ab

das problem der liebe: die liebe lieben, aber als wäre sie eine person

für eine nacht

eine nacht, gemacht
für die liebe einsamer
gotteskinder
es braucht schon einen ozean,
nicht zu weinen
und eine sonne, um zu sehen
mein freund, verliere dich
damit jemand dich wollen kann
so namenslos warm

zugbein

es reißt, verwurzelt in
winter- und sommerlicher
ruhe, keine schweigenden
unter dem regen, es zischt,
es klappen sonnen, zusammen
fällt ein blatt, es raucht und riecht,
es stirbt und stöhnt, es lebt und
log, es ist geboren und gefällt -
all das
anderswo

weihnacht

es hallen die autos aus
der nähe wie unter stille versteckt
der atem gottes treibt aus
schornsteinen wie eine
kriegsphilosophie und
niemand zuhaus, der sich beschweren könnte
wo kein kläger, da kein richter?

fremdsprache

und ist der himmel
abgestorbener wind?
ein meer, das zu sich selbst
spricht?
ein leuchtturm im sommer?
und liegt dir die welt zu füßen
merkst du, dass du noch
auf ihr stehst

babylonisch?

die bäume wurden blutig geschlagen -
sie wachsen,
ohne größer zu werden
einsam,
mit meinem blick
durch ein fremdes fenster
und du versteckst
die dinge wie der himmel
es tut

grenzerfahrung

ein einsamer phönix
ist niemals allein
die landschaft winselt wie eine
einheimische enttäuschung;
einer stirbt und sagt, er sei schon
tot

ode an europa

oh, du!
ein unbekannter weg zur heimat,
ein starker wille, weil
du dich selber überwindest
bezwinger der zeit,
weil du, schneller, ihr davon
läufst
so hell wie ein fetzen nacht am
brennenden sommertag -
oh, europa! wärst du ein mensch, du
wärst keiner

für frau b.

im unabhängigkeitskrieg,
pulverrauch im himmel und ein nahes meer
schweres blut und segelschiffe
eine fahnenstange in zitternden händen
ein wille ohne wunsch,
fällt der freie mensch
um freier zu sein

blind

bilderlose lichter wie
ungeborene namenslose oder
namenslose ungeborene
zu flüchten, an jeder ecke in
jedem auge
es brennen die zimmer der
liebhaber in stummen
städten;
blicke niemals ins auge des leuchtturms

tief!

hoch!
der himmel blutet, während
er flüchtet
er blutet; tastende schatten dürfen
nicht erschrecken
ein vergrabenes weltreich
die trauer kommt schon irgendwann
für irgendwen, wir küssen uns
unter straßenlaternen

Samstag, 16. Dezember 2017

samstag morgen

der verirrte wartete
der himmel klärte sich und gab
den blick frei
auf friedliche tote und toten frieden
auf flügel der flüchtenden
auf gefälschtes licht
"ich ziehe in ein fremdes dorf
wie ein zugvogel"

gedanken des k.

sich wie ein gott auf erden
verstecken
alle namenslosen blicken in dieselbe
richtung wie ich,
verheimlichte kriegsgefangene
führe blinde sterne zurück in ihre
wellblechhütten. 
zeitverschiebungen sind metaphern,
erinnerungen an ewige jugend

plünderer, am ende eines buches

ich komme aus einem sehnsuchtsort:
einem ort ohne sehnsucht
schmerzbefreit, falle ich wie die
see vom leib
und verstecke mich wie ein einsamer
die heiligen greifen mit toten händen
in die erde
und ziehen sie dreckig wieder heraus
es werden wertloses gold und
schiffe angespült

geisternamen

niemand hat keine eile
an diesem tag
weder in den dörfern noch
auf unverlassener see
eilen sie nicht, zu sehen
den unsichtbaren menschen
von fremden orten mit un-
aussprechbaren namen

leise

fußspuren liegen wie leichen
die sanfte haut von romanfiguren
tastend über risse im duftenden holz
der schnee gespuckt und gespien wie
worte der wahren wütenden väter
wie aus dem labyrinth
gerannt
das andere sparta für welche wanderer?

merksatz

winter: die nacht verbrennt

sieg

der atem der toten
summt heute
wie erblindet kann ich über
das wasser laufen
wege wo sie vorher
weiter waren
ich kapituliere, ich kapituliere!
denn ich habe diesen krieg
nicht begonnen

Sonntag, 10. Dezember 2017

jahresende

der welt das maul zu
stopfen schmilzt der schnee
nicht auf kaltem stein -
wie erfundene küsten ohne menschen
notgeborene drachen in austerlitz
wann überragen bäume den himmel?

münster, hierzu

die spitzen deines rocks
neben preußischen leichen
einer toter als der andere
und ein schwarzer himmel
als dürftest du die ersten treppen-
stufen besteigen

anden

es grinst ein verwundetes
pferd die schwärze
vor und nach dem schnee
du siehst das meer
ich sehe deine augen nicht

buchse

als wenn blinde seelen
sich verstecken
die bäume knicken, die wurzeln
greifen mit zitternden fingern
der wind wird zu rauch
zu vogelschatten und
menschlichen menschenleben

nahe moskau?

keine wunden
der himmel liegt erschlagen da
dein nächtliches blut ist nicht rot
jedes menschenleere schiff sinkt
auf diesem neuland
starben die vorfahren

erneut

als würde das meer in
boote flüchten die ruhe ist
unübersehbar -
von den fernen orten zu den
fernen orten wie
glühwürmchen wenn
alles schläft

nahend

deine stille, wie wahllose
wurzeln nur stumme
im amazonas
die sterne rücken enger zusammen
die nacht hat keine rinde mehr
die kälte der letzte gast

Sonntag, 3. Dezember 2017

widerstehen

die welt liegt vor dir wie
eine ausgewaschene wunde mit
blutenden himmelsadern
die vögel drängeln sich keiner
will zuhause sterben
jeder verlierer versteht den feind -

promotion

hier war einst ein taubenschlag
wo gott keine flügel brauchte
die luft ist laut wie verwundete auf
dem schlachtfeld die vorhänge rasseln
die fenster hinab
eine welt geht unter in die nacht
und wir mit ihr

irgendwo in mitteleuropa

krähen beißen den himmel
und du setzt den finger auf die lippen
du verlierst zeit, mein bruder
sagte ich
die erde vergisst tote, aber keine
wege
die strommasten tragen sich
gegenseitig im augenwinkel
wie verwundete der
jahrhunderte